Das Ziel der Verkehrsdosierung ist die Gewährleistung eines flüssigen Verkehrsablaufes und eines störungsfreien Betriebes des öffentlichen Verkehrs innerhalb des Wirkungsbereiches und/oder die Vermeidung von Ausweichverkehr über das untergeordnete Strassennetz. Typische Formen der Verkehrsdosierung sind:
- Dosierung von Autobahneinfahrten (Ramp metering) zur Sicherstellung eines staufreien Verkehrsflusses auf der Autobahn selbst.
- Dosierung des von Hochleistungsstrassen ausfahrenden Verkehrs zur Vermeidung von Ausweichverkehr über das untergeordnete Strassennetz
- Dosierung in Verkehrskorridoren oder bei Ortseinfahrten
- Dosierung des in ein Stadtzentrum einfahrenden Verkehrs
- Dosierung des aus grösseren Parkierungsanlagen oder aus untergeordneten Strassen auf die Hauptverkehrsstrassen einfahrenden Verkehrs.
Die Verkehrsdosierung erfolgt nicht permanent, sondern abgestimmt auf die aktuelle Verkehrssituation. Mit den steuerungstechnischen Eingriffen in den Verkehrsablauf ändern sich (innerhalb und ausserhalb des Wirkungsbereiches) im Tagesverlauf die Angebotsparameter des Verkehrssystems. Auf diese reagieren die Verkehrsteilnehmer durch Anpassung ihrer Aktivitätenplanung und ihres Verkehrsverhaltens. Kurzfristig können davon die folgenden Verkehrsentscheide betroffen sein: Wahl des Tagesplanes (Reihenfolge und Dauer der Aktivitäten) und der resultierenden Wegeketten, Wahl der Abfahrtszeiten, Wahl der Ziele, Wahl der Verkehrsmittel und Wahl der Routen.
Für die Ermittlung der Nutzen von Dosierungsanlagen ist ein Modellsystem zu erstellen, welches die oben aufgeführten Reaktionen der Verkehrsteilnehmer abzubilden vermag. Dazu muss es u.a. folgende Anforderungen erfüllen:
- Modellierung der individuellen Tagesplanung
- Wegeketten-basiert
- Multimodal (MIV, ÖV, LV)
- fahrplanfeine Umlegung des ÖV
- dynamische Umlegung des MIV mit detaillierter Berücksichtigung der Zeitverluste und des Rückstaus an Knoten und Engpässen sowie der Überstauung von Knoten
- Output von Verkehrsbelastungen, reisezweckspezifischen Reisezeiten und Reisedistanzen (MIV und ÖV), Verlässlichkeit (Verteilung der Reisezeiten), Verkehrsqualität (als Input für Emissions- und Energieverbrauchsberechnungen), Betriebsdaten Tram und Bus usw.
Für die volkswirtschaftliche Bewertung der Vor- und Nachteile einer Verkehrsdosierungsanlage ist ein geeignetes Ziel- und Indikatorensystem, welches alle 3 Nachhaltigkeitsbereiche berücksichtigt, erforderlich.
Das Forschungsprojekt sieht die folgenden Arbeitsschritte vor:
1. Vertiefte Literaturrecherche
Die Ergebnisse vorhandener Forschungsarbeiten und Studien werden gesichtet und ausgewertet. Dabei stehen folgende Aspekte im Vordergrund:
- Zusammenstellung der eingesetzten Steuerungskonzepte mit Verkehrsdosierung (technische Aspekte der entsprechenden Betriebs- und Steuerungskonzepte, angewandte Kontrollstrategien)
- Zusammenstellung der möglichen Auswirkungen von Steuerungskonzepten mit Verkehrsdosierung auf die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Umwelt (innerhalb und ausserhalb des engeren Wirkungsbereiches)
- Angaben zum Wert der Zeit, differenziert nach Zwecken und Verkehrssituationen (Fahrzeit im frei fliessenden Verkehr, Fahrzeit im stockenden Kolonnenverkehr, Wartezeit im Stau, Warte- und Umsteigezeit im ÖV)
- Bewertung der Verlässlichkeit im MIV und ÖV, negativer Nutzen eines verpassten Anschlusses im ÖV
2. Typisierung von Dosierungskonzepten
Für die in der vertieften Literaturrecherche zusammengestellten Steuerungskonzepte mit Verkehrsdosierung werden die charakteristischen Merkmale identifiziert, z.B. bezüglich Zielsetzungen, Steuerungsstrategie (tageszeitlich und/oder verkehrsabhängig differenzierte Einflussnahme auf den Verkehrsablauf), Einsatzgebiet (Einfahrt in HLS-Netz, Ausfahrt aus HLS-Netz, Korridor/Ortsdurchfahrt, urbanes Netz usw.). Basierend auf den identifizierten Merkmalen wird eine Typisierung der Dosierungskonzepte vorgenommen.
3. Generelles Wirkungsmodell zu den Dosierungskonzept-Typen
Für die einzelnen Typen von Dosierungskonzepten werden die zu erwartenden Wechselwirkungen zwischen der veränderten Verkehrssituation und dem individuellen Verkehrsverhalten sowie die denkbaren Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt in einem gedanklichen Wirkungsmodell dargestellt. Dabei sollen auch die möglichen langfristigen Auswirkungen (Entscheide betr. Standortwahl, Mobilitätswerkzeuge) diskutiert werden. Das Wirkungsmodell zeigt generell wie das Untersuchungsgebiet für die Bewertung von Dosierungskonzepten abzugrenzen ist und bildet die Grundlage für das im folgenden Arbeitsschritt zu erstellende Ziel- und Indikatorensystem.
4. Bewertungskonzept
Für die Bewertung der Vor- und Nachteile einer Verkehrsdosierung wird ein vollständiges Ziel- und Indikatorensystem erstellt, welches alle relevanten Auswirkungen abbildet und frei von Mehrfachzählungen ist. Eine gute Ausgangsbasis dazu bieten die für die Bewertung von Infrastrukturprojekten entwickelten Ziel- und Indikatorensysteme NISTRA und NIBA, welche entsprechend den im vorangegangenen Arbeitsschritt identifizierten Auswirkungen von Dosierungskonzepten durch Streichung von nicht relevanten und Hinzufügen fehlender Indikatoren angepasst werden.
Für die monetarisierbaren Indikatoren werden die Kostenansätze aus der Literatur, aus den Detailnormen zur VSS-Norm 641 820 (KNA-Grundlagennorm) sowie aus NISTRA und NIBA übernommen. Falls die vertiefte Literaturrecherche keine gesicherten Ansätze zum Wert der Zeit im Stau oder zum Wert der Verlässlichkeit ergeben sollte, werden plausible Annahmen getroffen, welche bei den Sensitivitätsbetrachtungen im Rahmen der KNA variiert werden. Die Kosten für Installation, Betrieb und Unterhalt der notwendigen Betriebs- und Steuerungskonzepte lassen sich mittels Erfahrungswerten abschätzen.
Für die nicht monetarisierbaren Indikatoren wird das Vorgehen zur Quantifizierung resp. zur qualitativen Beschreibung festgelegt. Eine zusammenfassende Bewertung dieser Indikatoren, z.B. mit einer NWA oder VWA (siehe VSS-Norm 641 800 für eine Kurzbeschreibung dieser Methoden), ist nicht Gegenstand des Forschungsprojektes.
5. Erstellen des Modellsystems
Im Zentrum unseres Lösungsansatzes steht die Erstellung eines Modellsystems, welches das oben beschriebene Wirkungsmodell einer zeitlich variierenden Verkehrsdosierung mit mathematisch formulierten Modellelementen nachbildet. Grundsätzlich werden dazu vorhandene und bewährte Modellansätze verwendet. Das Zusammenwirken der Elemente dieses Modellsystems ist in der folgenden Abbildung dargestellt.
Abbildung 1: Übersicht Modellsystem (siehe link unten)
Auf der Nachfrageseite wird die Aktivitäten- und Wegeplanung mit der agentenbasierten Mikrosimulation MATSim abgebildet. Dies erfolgt im Zeitkontinuum mit aus den Bevölkerungsdaten synthetisch gebildeten Individuen ("Agenten"). Die Aktivitäten- und Wegeplanung (Wegekettenbildung, Wahl der Abfahrtszeit, Wahl des Ziels und Wahl des Verkehrsmittels[1]) ist unter anderem eine Funktion der Variablen des Verkehrsangebotes (Reisezeiten, Verlässlichkeit, Wartezeiten, Distanzkosten, Tarife), welche ihrerseits durch die Verkehrsnachfrage beeinflusst werden.
Auf der Angebotsseite werden mit Routenwahlmodellen (Umlegung) die aus der sich zeitlich ändernden Verkehrsnachfrage resultierenden Verkehrsbelastungen auf den Strassenabschnitten und den Linien des ÖV sowie die resultierenden Angebotsvariablen (welche wiederum die Nachfrage beeinflussen), berechnet. Für den MIV wird ein dynamisches Umlegungsmodell eingesetzt, welches das Strassennetz und die Knoten sowie deren Steuerungen im Detail berücksichtigt. Vorgesehen ist dazu eine mesoskopische Modellsoftware (SATURN, evtl. CUBE Avenue), bei welcher die Umlegung z.B. in 5-Minuten-"Zeitscheiben" erfolgt. Der Verkehrsablauf (inkl. Rückstau) an den Knoten wird mit Mikrosimulation (unter Berücksichtigung einer allfälligen Überstauung durch stromabwärts liegende Knoten) nachgebildet. Die daraus resultierenden Ergebnisse für die Verlust- und Wartezeiten werden dem nächsten Umlegungsschritt zur Verfügung gestellt. Zwischen Umlegung und Mikrosimulation wird so lange iteriert, bis ein Gleichgewicht[2] erreicht ist. Die Umlegung des ÖV erfolgt fahrplanfein (also ebenfalls dynamisch). Vorgesehen ist dazu die Modellsoftware CUBE Voyager. Dort, wo eine Tram- oder Buslinie über kein Eigentrassee resp. keine Busspur verfügt, wird die Geschwindigkeit aus der MIV-Umlegung übernommen. Letztere liefert auch die Informationen zur Stausituation an den Knoten und den resultierenden Wartezeiten für den ÖV.
Die hauptsächliche Herausforderung bei der Erstellung dieses Modellsystems besteht darin, die Schnittstellen zwischen den auf vorhandener und bewährter Software beruhenden Teilmodellen so auszubilden, dass mit einem iterativen Modellablauf Konvergenz, d.h. Konsistenz zwischen den In- und Outputs der Teilmodelle erzielt werden kann. Die Erfahrung (siehe z.B. Lin, 2008) zeigt, dass dies möglich ist.
Als Output liefert das Modellsystem die zur Quantifizierung der verkehrsabhängigen Indikatoren (intra- und intermodal) nötigen Grundlagen.
6. Auswahl von Fallbeispielen
Die Anwendung der vorgeschlagenen Methodik zur Bewertung der Nutzen von Dosierungskonzepten wird an drei Fallbeispielen demonstriert. Die Fallbeispiele sollen drei verschiedene Typen (vgl. Kapitel 3.2.2) repräsentieren und sich hinsichtlich der Komplexität (räumliche Ausdehnung, mit/ohne direkt betroffenem ÖV usw.) unterscheiden. Um den Aufwand in Grenzen zu halten sollen wenn möglich bei der Forschungsstelle gewisse Grundlagen (z.B. Bevölkerungsdaten, MIV- und ÖV-Angebot, Verkehrsdaten usw.) bereits vorhanden sein. Ob bei den Fallbeispielen eine Verkehrsdosierung bereits eingeführt oder erst geplant ist, spielt keine Rolle. Im ersten Fall müssen Annahmen zur Steuerung ohne Verkehrsdosierung, im zweiten Fall zur Ausgestaltung der möglichen Verkehrsdosierung getroffen werden. In beiden Fällen soll dies so geschehen, dass möglichst zweckmässige Steuerungskonzepte resultieren, ohne Anspruch darauf, dass diese bereits dem Optimum entsprechen.
7. Anwendung des Modellsystems
Für die Anwendung des Modellsystems sind bei jedem Fallbeispiel die folgenden Teilschritte erforderlich:
- Aufbereiten der Daten zur Verkehrssteuerung mit und ohne Dosierung
- Abgrenzung des Untersuchungs- resp. Modellgebietes aufgrund des gedanklichen Wirkungsmodelles
- Einteilung des Untersuchungsgebietes in Verkehrszonen
- Aufbereiten der Inputdaten (siehe Abbildung 1) für das Modellsystem
- Zusammenstellung der heutigen Verkehrsdaten (als Grundlage für die Modellkalibration und
-validation)
- Etablieren des Modellsystems, Kalibration und Validation
- Anwenden des Modellsystems je für die Situation mit/ohne Verkehrsdosierung
- Aufbereiten der Outputdaten für die nachfolgende Bewertung
8. Bestimmen der Mengengerüste für die Situationen mit und ohne Dosierung
Für jedes Fallbeispiel bilden die Modell-Outputdaten die Grundlage für die Quantifizierung resp. Beschreibung der direkt oder indirekt vom Verkehr beeinflussten Indikatoren (intra- und intermodale sowie externe Nutzen). Die quantifizierbaren Indikatoren werden auf Jahreswerte hochgerechnet. Von Interesse sind die Differenzen zwischen den Zuständen mit und ohne Dosierung. Diese Differenzen stellen den Nutzen der Verkehrsdosierung dar, welcher je nach Indikator positiv oder negativ ausfallen kann.
Für die Berechnung der Auswirkungen auf die Lärmemissionen stehen das Lärmmodell STL-86, für jene der Auswirkungen auf die Luftschadstoffe und den Treibstoffverbrauch das Handbuch Emissionsfaktoren (HBEFA, Version 3.1 des BAFU) zur Verfügung. Die Auswirkungen auf das Unfallgeschehen werden anhand vorhandener Unfallstatistiken und der in der VSS-Norm 641 824 und von der BfU zusammengestellten Unfallraten abgeschätzt.
In diesem Arbeitsschritt erfolgen auch die Monetarisierung der monetarisierbaren Indikatoren sowie die Abschätzung der Jahres-Kosten (Annuitäten) für Installation, Betrieb und Unterhalt des Dosierungskonzeptes.
Die Auswirkungen der Verkehrsdosierung auf den Güterverkehr werden aufgrund der MIV-Modellergebnisse abgeschätzt und qualitativ beschrieben.
9. Bewertung pro Fallbeispiel
Für jedes Fallbeispiel werden die auf Jahreswerte hochgerechneten Werte der monetarisierbaren Indikatoren einer Kosten-Nutzen-Analyse (KNA) unterzogen. Diese beschränkt sich auf ein einzelnes Betriebsjahr. Insbesondere für Indikatoren mit noch wenig gefestigten Wertgerüsten werden Sensitivitätstests durchgeführt.
Die nicht monetarisierbaren aber quantifizierten Indikatoren und die Beschreibungen der nicht quantifizierbaren Indikatoren werden zusammengestellt. Die Gesamtbewertung der Vor- und Nachteile der Verkehrsdosierung im konkreten Fallbeispiel setzt sich aus den Ergebnissen der KNA und einer verbalen Beurteilung der nicht monetarisierbaren Auswirkungen zusammen. Die Diskussion möglicher längerfristiger Auswirkungen erfolgt qualitativ.
10. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Die mit den Fallbeispielen bei der Etablierung und Anwendung des Modellsystems sowie bei der anschliessenden Bewertung gewonnenen Erkenntnisse werden zusammengefasst, insbesondere hinsichtlich der aufgetretenen Schwierigkeiten, notwendiger besonderer Lösungsansätze, zu treffenden Annahmen usw. Es soll versucht werden, sowohl allgemeingültige Erkenntnisse als auch die Grenzen von allgemeingültigen Aussagen hinsichtlich des Nutzens von Dosierungsanlagen aufzuzeigen.
Besonderer Wert wird auf die Erstellung von Empfehlungen und praktischen Hinweisen in der Form eines Leitfadens für die spätere Anwendung des Modellsystems in der Praxis gelegt. Die festgestellten Forschungslücken werden zusammengestellt und Vorschläge für zukünftige Forschungsarbeiten grob formuliert.
11. Schlussbericht
Im Schlussbericht werden die durchgeführten Arbeiten sowie die Schlussfolgerungen und die Empfehlungen für die Anwendung des Modellsystems und der Bewertungsmethode dokumentiert.
[1] Berücksichtigt werden MIV, Bahn, Tram, Bus und LV. Für letzteren werden aber keine Umlegungen gerechnet.
[2] Nicht zu verwechseln mit dem zwischen Angebot und Nachfrage zu erreichenden Gleichgewichtszustand