Die Verfahren der Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten sind grundsätzlich angemessen. Die Geschäfte werden den Richterinnen und Richtern anhand von objektiven Kriterien zugeteilt. Allerdings sind nicht alle Kriterien in den Reglementen aufgeführt und in den eingesetzten Hilfsmitteln berücksichtigt. Die Geschäftsverteilung wird zudem nicht ausreichend dokumentiert, was der Transparenz schadet und die Nachverfolgbarkeit einschränkt.
Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) beauftragten die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) im Januar 2019 mit einer Evaluation der Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten, d. h. beim Bundesgericht (BGer), beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer), beim Bundesstrafgericht (BStGer) und beim Bundespatentgericht (BPatGer).
Im September 2019 entschieden die Subkommissionen Gerichte/BA der GPK, die für die Evaluation zuständig sind, dass die Verfahren der Geschäftsverteilung, ihre Vereinbarkeit mit dem übergeordneten Recht und ihre Eignung, einen unabhängigen und unparteilichen Spruchkörper zu gewährleisten, untersucht werden sollen. Von einer Analyse der Spruchkörperbildung in einzelnen Fällen haben sie hingegen abgesehen.
Die PVK prüfte in einer rechtlichen Analyse, inwiefern die Bestimmungen der vier eidgenössischen Gerichte dem übergeordneten Recht und den Empfehlungen internationaler Organisationen entsprechen. Dabei zog sie eine externe juristische Begleitung bei. In einer Dokumentenanalyse untersuchte sie die Verfahren der Geschäftsverteilung und die eingesetzten Instrumente. Zudem führte sie rund 30 Interviews durch, insbesondere mit Personen, die an den Gerichten für die Geschäftsverteilung zuständig sind.
Die Rechtsgrundlagen entsprechen grundsätzlich dem übergeordneten Recht, weisen aber gewisse Lücken auf (Ziff. 3)
Die zentralen Vorgaben der Bundesverfassung und des Völkerrechts in Sachen Geschäftsverteilung bei Gerichten werden von den eidgenössischen Gerichten grundsätzlich eingehalten. Die Gesetze und Reglemente der einzelnen Gerichte legen Verfahren fest, welche die Rechtmässigkeit, die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit der Gerichte gewährleisten (Ziff. 3.1). Allerdings sind diese Bestimmungen nicht vollständig. Häufig fehlen bestimmte Kriterien, die bei der Spruchkörperbildung berücksichtigt werden, so namentlich die Sprachen, welche die Richterinnen und Richter beherrschen (beim BPatGer), oder die Abwesenheiten, das Geschlecht oder Spezialkenntnisse von Richterinnen und Richtern (beim BVGer) (Ziff. 3.2). Die Art und Weise, wie die Zusammensetzung des Spruchkörpers nachträglich geändert werden kann, ist – entgegen den internationalen Empfehlungen – in den Rechtsgrundlagen keines einzigen Gerichts geregelt (Ziff. 3.3).
Die Transparenz der Verfahren für die Geschäftsverteilung ist unzureichend (Kap. 4)
Die Aufgaben bei der Geschäftsverteilung (Ziff. 4.1) und der Ablauf der Verfahren sind kaum dokumentiert (Ziff. 4.2), was der Transparenz schadet, sowohl gerichtsintern als auch nach aussen. Zudem wird die Geschäftsverteilung kaum überprüft. Lediglich das BGer erstellt hierzu einen Bericht, nicht aber das BVGer, obwohl gewisse Angaben seinem System entnommen werden können. Beim BStGer und beim BPatGer sind hierzu derzeit keinerlei Informationen verfügbar (Ziff. 4.3). Da die Rechtsgrundlagen der eidgenössischen Gerichte offen formuliert sind, ist es umso wichtiger, dass die Geschäftsverteilung in den einzelnen Fällen genau dokumentiert wird, um jeglichen Verdacht einer Manipulation der Spruchkörperbildung in der Absicht, das Urteil in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, ausschliessen zu können.
Die Instrumente stellen die objektive Spruchkörperbildung nicht durchwegs sicher (Kap. 5)
Der Einsatz von Informatikprogrammen zur automatischen Bildung der Spruchkörper – wie am BGer und am BVGer – trägt zu einer objektiveren Geschäftsverteilung bei. Allerdings wird das Potenzial dieser Programme nicht voll ausgeschöpft, was die obige Aussage relativiert (Ziff. 5.1). Daneben werden – namentlich am BStGer und am BPatGer – Excel-Tabellen als Instrumente für die Geschäftsverteilung genutzt. Auch wenn diese pragmatisch eingesetzt werden, so sind sie doch nur rudimentär und berücksichtigen nicht alle Kriterien für die Geschäftsverteilung. Sie sind deshalb nur teilweise geeignet, um eine objektive Spruchkörperbildung sicherzustellen (Ziff. 5.2).
Die Kriterien für die Geschäftsverteilung sind zweckmässig, werden jedoch unterschiedlich angewendet (Kap. 6)
Die Kriterien für die Geschäftsverteilung, z. B. spezifische Kenntnisse oder Abwesenheiten der Richterinnen und Richter, werden von den einzelnen Gerichten und selbst von den verschiedenen Abteilungen innerhalb der Gerichte teilweise sehr unterschiedlich angewendet. Wie sich dies auf die Spruchkörperbildung auswirkt (Ziff. 6.1) und wie die Kriterien priorisiert werden (Ziff. 6.2), ist nicht ganz klar. Weil die Anwendung der Kriterien somit nicht vollständig nachvollzogen werden kann, wirft dies Fragen zur Objektivität der Verfahren auf.
Das Ermessen bei der Geschäftsverteilung trägt zu einer effizienten und effektiven Justiz bei (Kap. 6)
Ohne sich mit der Geschäftsverteilung in den einzelnen Fällen befasst zu haben, konnte die PVK feststellen, dass der bestehende Ermessensspielraum grundsätzlich dazu dient, ein Gleichgewicht zu finden zwischen strikten Automatismen und der für die Gewährleistung einer effektiven und effizienten Justiz nötigen Flexibilität. Allerdings lassen sich gewisse Unterschiede bei den Rechtsgrundlagen, den Verfahren, den Instrumenten und der Umsetzung der Geschäftsverteilung nicht durch die Besonderheiten der einzelnen Gerichte erklären (Ziff. 6.3).