Speicher und Reservoire leisten einen wichtigen Beitrag zur Wasserbewirtschaftung, z.B. zur Stromerzeugung mittels Wasserkraftnutzung, werden aber durch Speicherverlandung mittel- bis langfristig beeinträchtigt. Sedimentumleitstollen (SBT) stellen eine wirkungsvolle Massnahme gegen die Speicherverlandung dar. Ihre Effizienz hängt jedoch weitgehend vom Speicherbetrieb ab. Am Solis-Stausee im Kanton Graubünden wurde 2012 ein SBT in Betrieb genommen, um das kontinuierliche Fortschreiten des Verlandungskörpers in Richtung Sperre zu stoppen. Dieses Forschungsprojekt zielt darauf ab, die Hydraulik, Sedimenttransport-, Erosions- und Ablagerungsprozesse im Solis-Reservoir zu untersuchen, um die Wechselbeziehung zwischen diesen Parametern zu analysieren und möglicherweise Optimierungsmaßnahmen hinsichtlich der Wirksamkeit des SBT bei der Sedimentdurchleitung abzuleiten.
Im Oktober 2018, August 2019, September 2020, bzw. November 2021 wurde je eine Feldmesskampagne im Speicher Solis durchgeführt. 3D-Strömungsgeschwindigkeiten und die Bathymetrie wurden mit einem Acoustic Doppler Current Profiler (ADCP) in eng beieinander liegenden Querprofilen entlang des Stausees vermessen. An verschiedenen Stellen im Stausee wurden Schwebstoffe und Sedimentablagerungen entnommen. Bathymetrische Daten aus den Messkampagnen sowie Betriebsdaten inkl. Bathymetriemessungen des Betreibers von 2018 bis 2021 wurden analysiert und verglichen.
Die Auswirkungen von zwei ein- bzw. fünfjährlichen Hochwassern im Jahr 2019 und eines weiteren einjährlichen Hochwassers im Jahr 2020 auf die Sedimentation des Reservoirs wurden messtechnisch erfasst und die Auswirkungen verschiedener SBT- und Stauraumbetriebsarten (in Bezug auf den Reservoirwasserspiegel) auf den SBT-Bypass-Wirkungsgrad bewertet. Zu diesem Zweck wurden die Sedimentbilanzen und der jährliche Bypass-Wirkungsgrad für die drei Zeiträume zwischen den Messkampagnen berechnet. Zur Berechnung der Sedimentbilanz wurden die zu- und abfließenden Sedimentmengen mit installierten Trübungsmessgeräten und Geophonen gemessen und unter Verwendung bekannter Sedimenttransportformeln sowie unter Anwendung von Annahmen zur Abdeckung eines Bereichs von Partikelgrößen geschätzt.
Die Ergebnisse zeigen, dass die für die Berechnung der Sedimentbilanz getroffenen Annahmen gut mit den gemessenen Veränderungen der Bathymetrie übereinstimmen, mit Abweichungen von weniger als 15% für die Zeiträume von 2018 bis 2019 und 2020 bis 2021. Für die relativ trockene Periode von 2019 bis 2020 betrug die Differenz 28 %, was für Studien zur Sedimentforschung immer noch akzeptabel ist. Von Oktober 2018 bis November 2021 wurden netto knapp 50'000 m3 Sedimente im Stausee abgelagert, während durch den Betrieb des SBT bei niedrigem Reservoirwasserspiegel ein Gesamtvolumen von gut 200'000 m3 umgeleitet wurde. Diese ausgetragenen Sedimentmengen hätten den Stauseegrund um rund 1 m angehoben. Die Ergebnisse zeigen, dass der Wirkungsgrad des Sedimentumleitstollens von 17% ohne SBT auf 88% mit dem SBT im Betrieb angestiegen ist. Es wurde festgestellt, dass der Wirkungsgrad des SBT-Bypasses in hohem Maße von der Höhe des Wasserspiegels des Stausees abhängt. Für hohe Wirkungsgrade zwischen 70 % und 250 % sollte der Mindest-Wasserspiegel um 813 müM liegen. Der Betrieb des SBT mit einem Mindest-Wasserspiegel von mehr als 814 müM wird nicht empfohlen, da der Wirkungsgrad unter 20 % abfällt. Ein Stauspiegel von 816 müM entspricht dem Absenkziel des Reservoirs, bei dem der Betrieb der an den Speicher Solis angeschlossenen Wasserkraftwerke noch möglich ist. Diese Ergebnisse zeigen, dass der SBT vom Typ B mit einem Einlaufbauwerk im Speicher unter Druckabfluss einerseits die Sedimentation stoppen kann, andererseits aber sogar zu einer Erhöhung des aktiven Speichervolumen führen kann, sofern er unter optimalen Bedingungen betrieben wird.
Der Betreiber hat die Geschiebeleitwand am Einlaufbauwerk des SBT Anfang 2021 entfernt. Die Entfernung der Leitwand könnte die Sedimentation in Zone 3 zwischen dem SBT-Einlass und der Talsperre erhöhen und den Wirkungsgrad des SBT verringern. Daher werden weitere Studien empfohlen, um die Auswirkungen der Entfernung der Leitwand auf die Verlandung des Solis-Stausees zu bewerten.
Die Ergebnisse dieses Projekts dienen dem verbesserten Betrieb des SBT und Reservoirs im Hinblick auf die Abnahme der Verlandungsraten und einer längeren Nutzungsdauer des Speichers Solis. Darüber hinaus sollen sie einen Beitrag zur nachhaltigen Nutzung der Wasserkraft, zur Verbesserung des Sedimentmanagements an Stauseen und zur Umsetzung der Schweizer Energiestrategie 2050 leisten.