Einleitung
Mehr als 60% des Endenergieverbrauchs der Schweiz wird durch Energie aus fossilen Brennstoffen gedeckt. Im Jahr 2014 entfielen beinahe 30% des gesamten Endenergieverbrauchs in der Schweiz auf den Haushaltssektor, wobei rund 58% des Haushaltsendenergieverbrauchs aus fossilen Brennstoffen (BFE, 2015) gewonnen wurden. Die Erhöhung der Energieeffizienz im Haushaltssektor ist essentiell, um den gesamten fossilen Energieverbrauch und die damit verbundenen CO2-Emissionen in der Schweiz zu verringern, und um die energiepolitischen Ziele der Schweizer Energiestrategie 2050 zu erreichen.
Auch wenn erhebliche Anstrengungen unternommen werden müssen, um den Verbrauch von Brennstoffen im Haushaltssektor zu verringern, so gibt es doch auch ein bedeutendes Potenzial für Effizienzsteigerungen im Stromverbrauch. In der Schweiz wird Elektrizität hauptsächlich aus Wasserkraft (60%) und Kernkraft (40%) erzeugt. Nach dem Atomunfall in Fukushima Daiichi im Jahr 2011 beschloss der Bundesrat den Ausstieg aus der Kernenergie. Die Energiestrategie 2050 hat sich zum Ziel gesetzt, erstens den Stromverbrauch zu senken, indem das Effizienzniveau im Stromverbrauch erhöht wird, und zweitens den Anteil erneuerbarer Energien wie Wind- und Solarenergie an der Stromerzeugung zu erhöhen. In diesem Zusammenhang scheint der Haushaltssektor ein grosses Potenzial für Effizienzgewinne zu bieten und könnte einen wichtigen Beitrag zur Senkung des gesamten Endenergieverbrauchs leisten.
Ein wichtiges Element zur Senkung des Stromverbrauchs in Haushalten ist die Förderung von energieeffizienter Beleuchtung und Haushaltsgeräten. Eine tiefe Adoptionsquote von energieeffizienter Technologien hängt häufig mit der sogenannten ‘Energieeffizienzlücke’ (engl. energy-efficiency gap) zusammen. Das heisst mit der gängigen Beobachtung, dass Entscheidungsträger nicht das energieeffizienteste Haushaltsgerät wählen, selbst wenn dieses Haushaltsgerät aus individueller Sicht die kostengünstigste Wahlmöglichkeit (Minimierung der Betriebskosten über die Lebenszeit) darstellt. Die wissenschaftliche Literatur liefert mehrere Erklärungen für diese Lücke. Eine davon könnte mit der Tatsache zusammenhängen, dass Konsumenten beschränkt rational (engl. boundedly rational) sind. Tatsächlich ist die Auswahl des Gerätes mit den geringsten Lebenszeitkosten eine anspruchsvolle Aufgabe. Um finanziell rationale Entscheidungen treffen zu können, muss man die gesamten Kosten von Haushaltsgeräten über deren gesamte Lebensdauer vergleichen. Dies erfordert Wissen über den Kaufpreis, den Stromverbrauch, die erwartete Nutzungshäufigkeit, die aktuellen und zukünftigen Strompreise usw., sowie die Kompetenz, informierte energiebezogene Investitionen tätigen zu können (engl. energy-related investment literacy), welche die Verarbeitung und Verknüpfung der oben genannten Informationen umfasst.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die politischen Entscheidungsträger das tatsächliche Potenzial von Stromeinsparungen im Schweizer Haushaltssektor kennen. Das Energieeffizienzniveau von Haushalten kann einerseits mit einem Bottom-up-Ansatz ermittelt werden, indem eine Effizienzanalyse von Gebäuden vor Ort durchgeführt wird. Bei einem solchen ökonomisch-ingenieurtechnischen Ansatz werden Verhaltensaspekte bei der Energienutzung jedoch nicht berücksichtigt. In dieser Studie schätzen wir daher das Stromeffizienz-Niveau von Haushalten mit mathematischen und statistischen Methoden unter Berücksichtigung des gesamten Stromverbrauchs sowie Faktoren wie Grösse und Eigenschaften des Hauses/der Wohnung, Haushaltszusammensetzung, Anzahl und Art der genutzten Haushaltsgeräte, Anzahl der konsumierten Energiedienstleistungen, sozioökonomische und demografische Variablen sowie energiebezogenes Verhalten und Kompetenzen. Mit diesem Ansatz kann ein ‘faires’ Benchmarking der Schweizer Haushalte hinsichtlich ihres Stromverbrauchs durchgeführt werden. Zudem geht die vorliegende Studie auch der Frage nach, wie Informationen zum künftigen Energieverbrauch auf Produkten dargestellt werden sollten, damit Konsumenten das kosteneffizienteste Gerät leichter identifizieren können. Darüber hinaus untersuchen wir, ob und in welchem Ausmass kognitive Fähigkeiten sowie die Kompetenz, informierte energiebezogene Finanzentscheidungen treffen zu können (engl. energy-related financial literacy), die Konsumenten bei der Auswahl eines kosteneffizienten Geräts unterstützen.
Ziele und Inhalte der Kapitel
Die Hauptziele dieser Studie sind: (1) einen systematischen Überblick über die Beziehung zwischen Energienachfrage, der Produktion von Energiedienstleistungen, Inputpreisen und Energieeffizienz basierend auf der mikroökonomischen Produktionstheorie und der Haushaltsproduktionstheorie zu liefern; (2) das Niveau der der Stromnutzungseffizienz durch die Schätzung einer Stromnachfragegrenzfunktion (engl. electricity demand frontier function) unter Zuhilfenahme von ökonometrischer Methoden und Paneldaten basierend auf einer Stichprobe von Schweizer Haushalten zu ermitteln; (3) die energiebezogene Investitionskompetenz von Schweizer Haushalten zu messen und deren Rolle für die Energieeffizienz von Haushalten zu untersuchen; und (4) zu untersuchen, wie Informationen über den künftigen Energieverbrauch auf Produkten dargestellt werden sollten, damit Verbraucher dasjenige Haushaltsgerät, welches die Gesamtkosten über die Lebensdauer minimiert, leichter identifizieren können.
Der Bericht besteht aus zwei einleitenden Kapiteln, gefolgt von drei Kapiteln, die unterschiedliche empirische Analysen präsentieren. Das erste Kapitel bietet eine theoretische Einführung zur Effizienzmessung und zur Haushaltsproduktionstheorie. Das zweite Kapitel erläutert die dieser Studie zugrunde liegende grosse Haushaltsumfrage. Die beiden Kapitel 3 und 5 sind in sich geschlossene Artikel, die in internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden. Kapitel 4 erweitert die in Kapitel 3 vorgestellte Analyse, durch den Einbezug der gesamten Daten aus der Haushaltsumfrage sowie durch eine Aufschlüsselung der Wachstumsrate der Stromnachfrage. Da einige dieser Kapitel in sich geschlossene Artikel sind und unabhängig voneinander gelesen werden können, kann es in den Kapiteln zu Wiederholungen einiger Konzepte kommen.
Im Kapitel 1 stellen wir eine systematische Analyse der Beziehung zwischen Energienachfrage, Energieeffizienz und technologischem Wandel vor. Die Konzepte der Produktionseffizienz, der Energieeffizienz, des technologischen Wandels und der Energieeffizienzlücke (engl. energy efficiency gap) werden im Rahmen der Haushaltsproduktionstheorie diskutiert. Wir präsentieren die mathematische Herleitung der Haushaltsproduktionstheorie. Zudem wird in diesem Kapitel auch die mathematische Aufschlüsselung der Wachstumsrate von Energieverbrauch und Energieproduktivität erläutert.
Kapitel 2 vermittelt einen Überblick über die Entwicklung und Umsetzung der grossen Online-Umfrage, die wir in Zusammenarbeit mit neun Schweizer Stromversorgungsunternehmen durchgeführt haben, um Daten für unsere empirische Analyse zu erheben. In diesem Kapitel beschreiben wir die Organisation der Stichprobenentnahme, den Prozess der Datenerhebung sowie die Struktur des Fragebogens. Die erhobene Stichprobe wird mit einigen öffentlich verfügbaren Bevölkerungsstatistiken aus den neun Regionen verglichen, um die Repräsentativität unseres Haushaltsdatensatzes abschätzen zu können. Zudem präsentieren wir in diesem Kapitel (aggregierte) deskriptive Statistiken für alle 8’378 Haushalte aus unserer Stichprobe.
In Kapitel 3 schätzen wir das Niveau der kurzfristigen (engl. transient) und strukturellen (engl. persistent) Stromnutzungseffizienz in Schweizer Haushalten mittels dem neu entwickelten ‘generalized true random effects model’ (GTREM). Aus einem unbalancierten Panel-Datensatz (2010–2014) von 1994 Schweizer Haushalten, der eine Teilmenge unseres in dieser Studie erhobenen Datensatzes bildet, schätzen wir eine Elektrizitätsnachfrage-Grenzfunktion (engl. electricity demand frontier function). Wir beschränken die Analyse in diesem Kapitel auf diese Untergruppe, da Informationen zur energiebezogenen Investitionskompetenz nicht für alle Haushalte verfügbar sind (bei den Kunden einiger Versorgungsunternehmen wurden diese Informationen nicht erhoben). Zudem analysieren wir, ob die Energie- und Investitionskompetenz einen Einfluss auf den Stromverbrauch von Haushalten haben. Die Ergebnisse zeigen signifikante Ineffizienzen in der Stromnutzung von Schweizer Haushalten: sowohl kurzfristige Ineffizienzen (11%) als auch strukturelle Ineffizienzen (22%). Wir stellen fest, dass die hohe strukturelle Ineffizienz auf strukturelle Probleme in den Haushalten und systematische Verhaltensdefizite im Haushaltsstromverbrauch hinweist. Diese empirisch beobachteten Unterschiede zwischen kurzfristiger und struktureller Effizienz weisen darauf hin, wie wichtig es ist, zwischen diesen beiden Komponenten zu unterscheiden.
Kapitel 4 erweitert die Analyse aus Kapitel 3 basierend auf Stromverbrauchsdaten aus den Versorgungsgebieten aller neun Stromunternehmen. Während Kapitel 3 sich auf die Rolle der Energie- und Investitionskompetenz konzentriert und daher nur Informationen von sechs der Stromversorgungsunternehmen aus unserer Umfrage verwendet werden, wird in diesem Kapitel eine Effizienzanalyse für die gesamte Stichprobe durchgeführt. Die durchschnittliche strukturelle Ineffizienz liegt bei etwa 22%, während die kurzfristige Ineffizienz bei etwa 14% liegt. Diese Ergebnisse sind vergleichbar mit den Ergebnissen aus Kapitel 3, die mit einer Teilmenge der Daten geschätzt wurden. Weiter analysieren wir in diesem Kapitel die Rolle von einigen nachfrageseitigen Effizienz-Massnahmen, die in den neun Versorgungsgebieten in den letzten 5 Jahren durchgeführt wurden, und schlüsseln zudem die Wachstumsrate der Stromnachfrage auf.
In Kapitel 5 untersuchen wir den Einfluss der Energie- und Investitionskompetenz auf die Wahrscheinlichkeit, dass Individuen sich beim Kauf für ein energieeffizientes Gerät entscheiden. Diese zusätzliche Analyse basiert auf zwei online durchgeführten randomisiert-kontrollierten Studien (engl. Randomized controlled trials oder RCT), die in den Fragebogen der grossen Haushaltsbefragung dieser Studie integriert wurden. Anhand einer Serie von rekursiven bivariaten Probitmodellen und drei Stichproben von 583, 877 und 1’375 Schweizer Haushalten von drei Stromversorgern können wir aufzeigen, dass die Bereitstellung von Informationen über den Energieverbrauch von Haushaltsgeräten in monetären Einheiten (jährliche Stromkosten in CHF) anstatt in physikalischen Einheiten (jährlicher Stromverbrauch in kWh) dieWahrscheinlichkeit erhöht, dass ein Teilnehmer der Studie eine Investitionsanalyse durchführt, und somit das (kosten-) effizienteste Gerät auswählt. Darüber hinaus zeigen unsere ökonometrischen Ergebnisse, dass Personen mit einem höheren Niveau an Energie- und insbesondere Investitionskompetenz eher eine Optimierung durchführen als sich auf eine Entscheidungs-Heuristik zu verlassen.
Hauptergebnisse und energiepolitische Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen ein erhebliches Potenzial für Stromeinsparungen im Schweizer Haushaltssektor. Darüber hinaus zeigt die empirische Analyse, dass das Niveau der kurzfristigen und strukturellen Ineffizienz unterschiedlich hoch ist. Weiter können wir empirisch aufzeigen, dass sich die Kompetenz, informierte energiebezogener Investitionsentscheidungen treffen zu können, sowie energiesparendes Verhalten positiv auf die Energieeffizienz von Haushalten auswirken. Dieses Potential zu nutzen ist entscheidend, um das Reduktionsziel zu erreichen, das der Bundesrat im Rahmen der Energiestrategie 2050 festgelegt hat.
Wir finden zudem bei Schweizer Haushalten ein tiefes Niveau der energiebezogenen Investitionskompetenz. Mehr als zwei Drittel der Schweizer Konsumenten scheinen sich eher auf einfache Entscheidungsfindungs-Heuristiken als auf einen Vergleich der Lebenszeitkosten verschiedener Geräte zu stützen, wenn sie eine Kaufentscheidung treffen. Dies ist ein weiterer Hinweis dafür, dass Individuen nur begrenzt rational (engl. boundedly rational) sind und dass sie deshalb das finanzielle Einsparpotenzial von Energieeffizienzinvestitionen nicht ohne weitere Unterstützung ausschöpfen werden.
Aus energiepolitischer Sicht deuten die Ergebnisse dieser Studie darauf hin, dass eine Verbesserung der Energieeffizienz auf drei Wegen erreicht werden könnte: Erstens durch die Verpflichtung der Hersteller von Haushaltsgeräten, Informationen über den zukünftigen Energieverbrauch des Produkts in monetärer Form bereitzustellen. Dieser Ansatz könnte dem Beispiel des in den USA verwendeten EnergyGuide-Labels folgen, welches erfordert, dass auf den Energielabels bestimmter Geräten eine Schätzung der jährlichen Betriebskosten angezeigt wird (US-FTC, 2017). Eine zweite Strategie wäre, die Konsumenten über den Energieverbrauch verschiedener Geräte sowie Ansätze, um das kosteneffizienteste Gerät zu ermitteln, aufzuklären. Dies könnte zum Beispiel anhand von Broschüren und Kursen zur Energiekompetenz an Schulen stattfinden. Als dritter Ansatz scheinen politische Massnahmen, die das energiebezogene Wissen von Verbrauchern, und die Fähigkeit, komplexe (Investitions-)Berechnungen durchzuführen fördern, wichtig zu sein. Sie bilden eine Voraussetzung dafür, dass Verbraucher rationale und informierte energiebezogene Entscheidungen treffen können. Schliesslich könnten Entscheidungshilfen wie ein Online-Rechner, der die Kosten von Geräten über die gesamte Lebensdauer berechnet, im Einzelhandel, über mobile Anwendungen oder über eine vom Bund geförderte Webseite bereitgestellt werden. Hierbei betonen wir nochmals die klare Unterscheidung zwischen der kurzfristigen und der strukturellen Energieeffizienz der Haushalte, da diese Unterscheidung dazu beitragen kann, die entsprechenden politischen Massnahmen auszuwählen. Zum Beispiel werden energiepolitische Massnahmen, die versuchen, Energiesparverhalten zu fördern (z.B. eine Informationskampagne) oder versuchen, das Niveau der Energiekompetenz zu erhöhen (z.B. Verteilen von Informationsmaterial an Haushalte), vor allem das kurzfristige Effizienzniveau beeinflussen. Hingegen könnten politische Massnahmen, die versuchen, die energiebezogene Investitionskompetenz der Haushalte zu verbessern (wie kurze Kurse zur Schulung von Verbrauchern bei der Bewertung von Investitionen oder Webseiten und Mobile-Apps, die bei der Berechnung der Gesamtkosten über die gesamte Lebensdauer der Geräte helfen) Auswirkungen auf die Kaufprozess von Geräten haben und somit auch auf das Niveau der strukturellen Effizienz. Die Umsetzung dieser oben genannten politischen Massnahmen zusammen mit der einer Subvention von Energieberatungen in Haushalten sowie anderen politischen Instrumenten, etwa basierend auf Nudges und sozialen Normen, kann dazu beitragen, die Effizienz der Stromnutzung in Haushalten zu erhöhen. Aufgrund der inhärenten begrenzten Rationalität (engl. bounded rationality) der Verbraucher könnte die Wirkung einer ökologischen Steuer, die darauf abzielt, externe Kosten zu internalisieren, untergraben werden. Selbst wenn eine Energie- oder CO2-Steuer den Strom teurer machen würde – und daher Investitionen in Energieeffizienz rentabler wären – würden begrenzt rationale Verbraucher diese Investitionen voraussichtlich nicht tätigen, da sie bei der Kaufentscheidung eines Haushaltsgerätes (kognitiv) nicht in der Lage wären, zukünftige Kosteneinsparungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus kann die beschränkte Rationalität von Verbrauchern (engl. boundedly rational consumer) auch die Einführung effizienzbezogener Vorschriften und Normen rechtfertigen.