Das Wichtigste in Kürze
Jährlich werden in unserem Land durchschnittlich 2.9 Milliarden Franken im Zusammenhang mit Naturgefahren von Bund, Kantonen, Gemeinden und Privaten ausgegeben. Das Geld fliesst in Präventivmassnahmen im Hochwasser-, Lawinen und Steinschlagschutz, wird für die Finanzierung von Messeinrichtungen oder Gefahrenkarten benötigt, zur Wiederinstandstellung zerstörter Infrastrukturanlagen oder für Versicherungen etc. verwendet. Wesentliche Aufgaben im Bereich Naturgefahren sind den Kantonen übertragen, wobei der Bund die Wahrnehmung dieser Aufgaben u. a. mit Abgeltungen und Finanzhilfen unterstützt. Auf Bundesebene sind mehrere Ämter und Departemente betroffen, darunter das Bundesamt für Umwelt (Bafu), das Bundesamt für Strassen (Astra), das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) oder das Bundesamt für Verkehr (BAV). Der Bund gibt rund 462 Millionen Franken im Jahr im Zusammenhang mit Naturgefahren aus.
Die Subventionspraxis der Schweiz im Bereich Naturgefahren ist in Expertenkreisen in der Vergangenheit in mehrfacher Hinsicht in Frage gestellt worden. Dabei wurde auf gesetzliche Lücken, fehlende strategische Ausrichtung, unklare Zuständigkeiten, Intransparenz der Finanzflüsse, Koordinationsdefizite zwischen den beteiligten Ämtern und anderes mehr verwiesen.
Vor diesem Hintergrund hat die Subkommission EDI/UVEK der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) am 3. Juli 2006 mit der Durchführung einer Evaluation zum Umgang des Bundes mit Naturgefahren beauftragt. Die PVK sollte Fragen zur Konzeption, Transparenz, Rechtmässigkeit, Aufsichtstätigkeit sowie zur Wirkungsorientierung der subventionierten Massnahmen beantworten.
Die Fragen wurden aufgrund von Dokumentenanalysen, einem Rechtsgutachten, zwei regionalen Fallstudien und Experteninterviews beantwortet. Die regionalen Fallstudien untersuchten insbesondere Vollzugs- und Aufsichtsfragen im Untersuchungszeitraum 1993 bis 2005. Für diese Zeitspanne wurden in den Fallstudiengebieten Visp und Surselva alle Projekte im Bereich Naturgefahren untersucht, die Bundesbeiträge zugesprochen erhalten hatten (Surselva 111 Projekte; Visp 115 Projekte). Rund 70 % der Zahlungen leisteten das Bundesamt für Wasser und Geologie und das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft. Aufgrund von mehreren grossen Unwettern waren in beiden Untersuchungsgebieten die Bundesbeiträge für Wiederherstellungsmassnahmen überdurchschnittlich hoch (Surselva: 72 % von 68.4 Millionen Franken; Visp: 59 % von 139.8 Millionen Franken).
Weil mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs (NFA) im Jahre 2008 auch im Bereich Naturgefahren wichtige Änderungen anstehen, werden im Folgenden nicht nur die Hauptergebnisse der Evaluation wiedergegeben, sondern finden sich jeweils auch Hinweise auf die kommenden Neuerungen der NFA. Zudem sei hier erwähnt, dass seit Ende des Untersuchungszeitraums (2005) mit der Schaffung des Bafu ein Reorganisationsentscheid gefallen, der einen bedeutenden Schritt bei der seither intensivierten Umsetzung des integralen Risikomanagements auf Bundesebene darstellt.
Untersuchungsfrage 1:
Sind die bestehenden Rechtsgrundlagen des Bundes zum Umgang mit Naturgefahren in sich und untereinander kohärent und sind sie eine geeignete Basis für eine effizienz- und risikoorientierte Subventionspraxis?
Die Frage nach der Kohärenz der Rechtsgrundlagen des Bundes im Umgang mit Naturgefahren hat gezeigt, dass auf Verfassungsebene der Schutz vor Naturgefahren sektoriell angegangen wird und inkohärent und unvollständig geregelt ist. Der Bund hat gefahrenbezogene oder schutzmittelbezogene Einzelkompetenzen und zahlreiche indirekte Kompetenzen. Auf Gesetzesstufe reproduzieren sich die sektoriellen und unterschiedlichen Regelungen aus der Verfassung. Die einzelnen Gesetze sind einander bis zu einem gewissen Grad konzeptionell angenähert worden. Trotzdem bestehen Unterschiede zwischen den Subventionssätzen und Überschneidungen der Subventionsgegenstände. Eine departementübergreifende strategische Planung des Umgangs mit Naturgefahren ist in den Rechtsgrundlagen nicht vorgesehen. Hinsichtlich Effizienzorientiertheit der Rechtsgrundlagen fanden sich im Wasserbau- und Waldbereich Bestimmungen zur Sicherstellung einer effizienzorientierten Subventionspraxis in den Kantonen. Allerdings sind die geltenden Regelungen nur bedingt für eine effizienzorientierte Subventionspraxis geeignet, weil sie ökonomisch gesehen für die Kantone unterschiedliche Anreize geschaffen haben (unterschiedliche hohe Maximalsätze in den verschiedenen Gesetzen, Abstufung nach Finanzkraft der Kantone). Zudem bestehen Unterschiede bei der Abgeltung unterschiedlicher Schutzformen, was zur Bevorzugung einzelner Schutzformen vor anderen oder zu Fehlallokationen führen kann. Die Frage der Risikoorientiertheit brachte Ansätze für eine risikoorientierte Subventionspraxis zutage (Normen für die Subventionierung von Datenerhebungen und Gefahrenkarten), explizite Bestimmungen zur Risikoorientierung fanden sich indessen keine.
Eine wichtige Neuerung der NFA ist die Harmonisierung der Beitragssätze im Waldgesetz und im Wasserbaugesetz. Auch fällt im Wald- und Wasserbaubereich die Abstufung der Subventionen nach Finanzkraft weg.
Untersuchungsfrage 2:
Wie sind die vom Bund subventionierten Massnahmen im Umgang mit Naturgefahren hinsichtlich Transparenz und Rechtmässigkeit zu beurteilen?
Die Prüfung der entsprechenden Projektsdossiers bzw. der Datenbankeinträge zu den subventionierten Massnahmen auf Bundesebene hat keine Hinweise für eine Verletzung der Rechtsmässigkeit ergeben. Da für gleiche Massnahmen je nach Beurteilung des Bundesinspektors unterschiedliche Beitragssätze gelten können, verfügt die subventionierende Stelle über einen Ermessensspielraum. Hinsichtlich der Transparenz der Finanzflüsse und des Projektverlaufs der subventionierten Massnahmen haben sich Mängel gezeigt. Die bestehenden Kontrollsysteme ermöglichen es nicht, den Projektverlauf für eine externe Kontrolle einfach nachvollziehbar zu machen. Die Datenbanken der einzelnen Bundesämter sind in Umfang und erfassten Parametern uneinheitlich. Dies beeinträchtigt die Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Subventionspraxis und kann die Koordination und Abstimmung zwischen den Ämtern erschweren. Aufgrund der Überschneidungen in den rechtlichen Grundlagen besteht zwischen einzelnen Bundesstellen Koordinationsbedarf. Die amts- oder departementsübergreifende Koordination ist schwierig und zeitaufwändig. Nach einem grossen Unwetterereignis ist der Koordinationsbedarf zwischen den Ämtern am grössten. In diesem Fall erfolgt eine rasche Absprache zwischen den Bundesämtern über die Aufteilung der Projekte, was sich bewährt hat, aber auch die Gefahr einer gewissen Willkür birgt.
Die Bundesämter entscheiden aufgrund der von den Kantonen eingereichten Gesuche; dabei prüfen sie, ob die Gesuche den Vorgaben und Kriterien entsprechen. Nicht alle Ämter verfügen dabei über klare Vorgaben. Als Entscheidungshilfe dienen den Ämtern auch Kosten/Nutzen-Analysen, die indessen wegen fehlender Einheitlichkeit von begrenztem Wert und untereinander nicht vergleichbar sind. Die Ämter sind bei den Entscheiden an die Einhaltung des eigenen Budgets gebunden, eine eigentliche Prioritätenordnung nach Kriterien des integralen Risikomanagements besteht in der Regel nicht. Die Entscheidpraxis des Bundes richtet sich nach den Prinzipien der Subsidiarität. Weil der Bund auch sehr hohe Kostenanteile übernimmt, ist nicht immer garantiert, dass der von den Kantonen und Gemeinden zu begleichende Betrag verhindert, dass nur effiziente und notwendige Projekte umgesetzt werden.
Die Veränderungen durch die NFA tangieren zahlreiche Ergebnisse der Evaluation im Wald- und Wasserbaubereich. Die NFA bringt für die Bundesstellen eine Entlastung bezogen auf die Zahl der zu behandelnden Subventionsgeschäfte, weil für die weniger komplexen Subventionssachverhalte Globalbeiträge gesprochen werden. Über Projekte nach Waldgesetz oder Wasserbaugesetz, die eine Million Franken übersteigen, entscheidet der Bund weiterhin im Einzelfall. Hierzu sind verschiedene Instrumente ausgearbeitet worden. Dazu zählen ein Katalog von Mindestanforderungen u. a. hinsichtlich Schutzdefizit, Wirtschaftlichkeit, Umsetzung des integralen Risikomanagements oder ein Priorisierungsschema. Ermessensspielräume bei der Bestimmung des Bundesbeitrags sind reduziert worden bzw. sollen klarer strukturiert werden (Bafu bzw. BLW). Im Wald- und Wasserbaubereich sind die Maximalbeitragssätze des Bundes gesenkt worden, was in den Kantonen zu erhöhter Effizienzorientierung führen könnte. Für das Astra bringt die NFA eine auf Nationalstrassen beschränkte Zuständigkeit, was im Schutzbautenbereich zu einer Entlastung führen dürfte. Die Zuständigkeiten zwischen Astra, BAV und Bafu bei der Subventionierung von Verkehrswegen sind geklärt worden.
Untersuchungsfrage 3:
Ist die Aufsicht des Bundes über den kantonalen Vollzug im Umgang mit Naturgefahren geeignet, einen zweckmässigen Einsatz der Bundesmittel sicherzustellen?
Bei der Beantwortung dieser Frage ist festzuhalten, dass die Bundesstellen die Aufsichtsfunktion unterschiedlich wahrnehmen. Tendenziell kann aber gesagt werden, dass sie nicht als kohärent einzustufen ist, da nur vereinzelt Strategiepapiere, Konzepte oder Vorgaben für den Einsatz der Aufsichtsinstrumente vorhanden sind. Die meisten Bundesämter setzen bei der Aufsichtstätigkeit stark auf präventive Mittel der Aufsicht, etwa auf Kreisschreiben oder das Instrument der Stellungnahme. Die Entscheide erfolgen aufgrund von Dossiers. Auch der Projektverlauf wird primär mittels eingereichten Dokumenten der Subventionsempfänger überprüft. Dies kann als effizient eingestuft werden, doch entbindet dies die Bundesämter nicht von Stichproben und Begehungen und der Einforderung eines Reportings nach Projektabschluss als wirksame Mittel der Aufsicht. Insbesondere das Bafu hat in der Vergangenheit die Zahl Stichproben und der Begehungen vermindert.
Mit der Einführung der NFA müssen im Bereich Wald und Wasserbau bei allen subventionierten Projekten Mindestanforderungen eingehalten werden. Zur Wahrnehmung der Aufsicht sind verschiedene Instrumente vorgesehen: im Rahmen des Grundangebots subventionierte Projekte sollen stichprobenweise und ex post auf die Einhaltung der vereinbarten Rahmenbedingungen überprüft werden und die Kantone sollen im Rahmen des Controllings mit einem Jahresreporting und einem Schlussreporting am Ende der 4-jährigen Programmperiode über die realisierten Arbeiten dem Bund Rechenschaft ablegen. Bei Einzelprojekten (über 1 Millionen Franken) wird weiterhin auf präventive Mittel gesetzt (Überprüfung im Rahmen des Bewilligungsverfahrens).
Untersuchungsfrage 4:
Ist die Gesamtheit der vom Bund subventionierten Massnahmen in zwei Regionen der Schweiz hinsichtlich ihrer Wirksamkeit aufeinander abgestimmt und deckt sie die spezifischen Naturrisiken effektiv ab?
Eine abschliessende Beurteilung der Wirkungsorientierung und effektiven Gefahrenabdeckung der subventionierten Massnahmen ist auf der Grundlage der Evaluation nicht möglich. Eine Überprüfung der ausgeführten Projekte auf ihre Gefahrenabdeckung ist wegen fehlender Gefahrenkarten derzeit nur punktuell durchführbar. Wo dieses Kriterium überprüft werden konnte, deckten die Massnahmen spezifische Naturrisiken ab.
Obwohl die realisierten Massnahmen unterschiedliche Gefahrenarten betreffen und kaum einen räumlichen Zusammenhang untereinander haben, steht in Frage, ob eine verbesserte Koordination der Bundesämter allenfalls effizienzsteigernde Zusammenhänge schaffen könnte. Festzuhalten ist weiter, dass die Ausführung von Massnahmen in den untersuchten exponierten Regionen meist auf eingetretene Ereignisse zurückging. Dies weist auf das Fehlen einer risikoorientierten Strategie hin. Bei der schweizweiten Aufteilung der Bundesmittel im Naturgefahrenschutz hingegen machen die für Präventionsmassnahmen ausgegebenen Bundesmittel gut drei Fünftel aus. Ausbezahlt werden sie primär für technisch-bauliche Massnahmen der Prävention ortsgebundener Naturgefahren. Diese Präferenz für teure Schutzbauten ist unter dem Kriterium der Kostenwirksamkeit zu kritisieren, weil – falls geeignet – organisatorische Massnahmen als Ersatz von technischen kostengünstiger ausfallen können. Erfahrungswerte als Aufteilungskriterien für die Bundesmittel auf die Kantone, wie dies bisher Usanz war, können nicht als wirkungsvolle Strategie bezeichnet werden.
Mit der von der Planat 2004 vorgelegten Strategie Naturgefahren Schweiz liegt ein zeitgemässes Konzept für eine Strategie in Sinne des integralen Risikomanagements vor. Hauptpunkt der geplanten Strategie ist ein Paradigmawechsel von Naturgefahren hin zu Naturrisiken, der zu mehr Risikoorientiertheit, Effizienz und Wirksamkeit führen soll. Mit der NFA sind im Bereich des Waldgesetzes und des Wasserbaugesetzes Elemente dieser Strategie eingeflossen. Auch bei der Aufteilung der Mittel auf die Kantone kommt es zu Neuerungen: Die Kantone erhalten aufgrund eines risikoorientierten und eines bedarfsorientierten Kriteriums ihre Mittel zugeteilt.
Die Gegenüberstellung der Ergebnisse der Evaluation mit den Neuerungen der NFA im Bereich Naturgefahren zeigt auf, dass bisherige problematische Faktoren angegangen werden. Wie die Ansätze für Verbesserungen umgesetzt werden und sich in der Praxis bewähren, wird sich spätesten nach Abschluss der vierjährigen Programmdauer im Jahre 2012 zeigen.