Zusammenfassung des Forschungsprojektes:
Einleitung: Im Jahr 2000 hat der Bundesrat die Wichtigkeit von Sport und Bewegung anerkannt und sich damit zur zukünftigen Bewegungs- und Sportförderung im Lande bekannt. In diesem wegweisenden Dokument wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, wissenschaftlich abgestützte Daten und Fakten, v.a. aus den Bereichen Kindheit/Jugend und Alter zu schaffen, welche die Umsetzung dieses Konzeptes ermöglichen. Als Resultat dieses politischen Entscheids konnte das ISSW der Universität Basel dank der Unterstützung durch die ESK bzw. das BASPO die Wechselwirkungen von Bewegung, Gesundheit und psychophysischer Leistungsfähigkeit von Kindern in der Schweiz repräsentativ im Rahmen einer Querschnittsstudie erfassen, ein Interventionsprogramm entwickeln und dessen Auswirkungen im Längsschnitt überprüfen.
Forschungsmethode: Für die Querschnitts- und die Interventionsstudie wurden 502 6 bis13-jährige Kinder, bzw. Erst- und Fünftklassschüler aus repräsentativen Schulen der Regionen Basel und Aargau rekrutiert, die wiederum randomisiert in Interventions- und Kontrollschulen eingeteilt wurden. Zudem nahmen 100 leistungsmässig Sport treibende gleichaltrige Kinder aus Talentfördergruppen an der Studie teil. Das Interventionsprogramm, welches eine tägliche Sportstunde (45min), Bewegungskurzpausen in akademischen Fächern, Bewegungshausaufgaben, eine bewegungsfreundliche Pausengestaltung und die Aufforderung zu mehr Bewegung in der Familie beinhaltete, setzte direkt zu Beginn des Schuljahres 2005 ein und dauerte ein Schuljahr. Die SchülerInnen der Kontrollschulen nahmen weiterhin an den drei regulären Sportstunden pro Woche teil, es fand jedoch keine Intervention statt. Zu Beginn der Studie und nach dem neun monatigen Interventionsprogramm wurden medizinische Untersuchungen (z.B. Blutdruck, Blutlipide, Körperfettanteil, Knochendichte etc.), sportmotorische Tests (z.B. Shuttle Run Test, 20m Sprint, Tapping, Balancieren etc.), Aktivitätsmessungen (Accelerometer – MTI/CSA) und Befragungen (z.B. Ernährung, Stressbewältigung, Schulakzeptanz, Sportvereinszugehörigkeit etc.) aller SchülerInnen durchgeführt.
Resultate: Die Daten der Querschnittsstudie (Wechselwirkungen von Bewegung, Gesundheit und psychophysischer Leistungsfähigkeit von Kindern) sind vollständig ausgewertet und bereits bei nationalen und internationalen Fachzeitschriften publiziert, bzw. befinden sich im Begutachtungsprozess. Ein Auszug aus den Studienergebnissen zeigt, dass die Mitgliedschaft in Sportvereinen positiv mit der Fitness von Schweizer Kindern assoziiert ist, wobei in Bezug auf die Zugehörigkeit zu Sportvereinen Unterschiede zwischen Kindern mit Migrationshintergrund und Kindern, deren Eltern aus der Schweiz stammen, festzustellen waren. Weiterhin geht aus den Querschnittsdaten hervor, dass sich im internationalen Vergleich Norwegische Kinder am meisten bewegen, gefolgt von Schweizer, Estnischen, Dänischen und Portugiesischen Kindern. In Bezug auf Geschlechtsunterschiede konnte ermittelt werden, dass sich Schweizer Mädchen weniger bewegen als
Schweizer Knaben, eine geringere Knochendichte und einen höheren Körperfettanteil aufweisen sowie weniger Leistung in sportmotorischen Tests (z.B. Jump & Reach Test) erbringen. Die Analyse von Stadt-Land Kindern ergab, dass sich Kinder aus ländlichen Gegenden mehr bewegen, weniger häufig übergewichtig sind und geringere kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweisen, als Kinder, die in der Stadt wohnen.
Die Resultate der Interventionsstudie liegen ebenfalls ausgewertet vor und befinden sich derzeit im Begutachtungsprozess bei verschiedenen internationalen Fachzeitschriften. Die Ergebnisse zeigen, dass die Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe nach der Bewegungsförderungsmassnahme über eine verbesserte aerobe Ausdauerleistung (20m shuttle run test), über einen reduzierten Body-Mass-Index verfügte und weniger Körperfett zunahm. Weiterhin konnten positive Auswirkungen der Intervention auf die medizinischen Parameter Insulinresistenz, pathologisches Blut-Lipidprofil und Bluthochdruck verzeichnet werden. Die körperliche Aktivität und die Lebensqualität veränderten sich jedoch nicht signifikant infolge der Intervention. Die für die Intervention entwickelten Curricula (z.B. tägliche Sportstunde, Bewegungs- (haus)aufgaben, Gestaltung der Pausenaktivität, Bewegungskurzpausen) sind methodisch-didaktisch fertig ausgearbeitet, bzw. auf neue Zielgruppen (Kindergarten) erweitert worden. Diese Hilfsmittel stehen interessierten Schulen und für zukünftige Studien (Kindergarten-Nationalfonds Studie in den Kantonen VD und SG) zur Verfügung. Das gesamte KISSInterventionsprogramm wird ab Herbst 2008 im Kanton Aargau (Gemeinde Aarburg) in einem mehrjährigen Schulversuch umgesetzt.
Relevanz für Gesellschaft und Sportpraxis: Die Studie hat wesentliche, bis dato fehlende Grundlagen und Erkenntnisse des Bewegungsverhaltens Schweizer Kinder und Jugendlicher ermittelt. Weiterhin stehen nun erstmalig für die Schweiz umfangreiche Daten zur Verfügung, die die Auswirkungen eines erfolgreichen schulbasierten Interventionsprogramms auf das Bewegungsverhalten sowie auf die psychophysische- und die motorische Leistungsfähigkeit Schweizer Kinder und Jugendlicher aufzeigen. Auf dieser Grundlage können wichtige bildungs- und sportpolitische Diskussionen mit Fakten angereichert werden, wenn es zum Beispiel um die finanzielle Unterstützung der Bewegungs- und Gesundheitsförderung im Schweizer Schulsystem geht.
Ausblick: Die bereits vorhandenen Querschnittsdaten der KISS Studie könnten die Grundlage für „Follow-Up“ Messungen darstellen, um evidenzbasierte Aussagen über mögliche longitudinale und säkulare Trends in der psychophysischen Leistungsfähigkeit und körperlichen Aktivität Schweizer Kinder tätigen zu können. Aufgrund der internationalen Datenlage wäre zu erwarten, dass sich auch in der Schweiz negative säkulare Trends hin zu mehr Übergewicht, Inaktivität und reduzierter motorischer Leistungsfähigkeit etablieren. Die Frage nach der Nachhaltigkeit des Interventionsprogramms ist zum jetzigen Zeitpunkt weiterhin offen und könnte ebenfalls durch „Follow-Up“ Messungen überprüft werden. Hierüber wäre festzustellen, ob die einjährige Interventionsdauer ausreichend ist, oder ob eventuell länger dauernde Interventionen angestrebt werden müssen. Weiterhin sollte kontrolliert werden, ob die Schulen nach fachmännischer Einweisung des Lehrpersonals und durch die Bereitstellung von Materialien, gewillt und selbstständig in der Lage sind, bewegungsfördernde Massnahmen durchzuführen.