Gestützt auf eine Literaturanalyse und eine systematische Durchsicht der in anderen Ländern verwendeten Indikatoren werden zehn Indikatoren vorgeschlagen, um die Leistungen des Schweizerischen Gesundheitssystems, insbesondere die Deckung und die Finanzierung der Leistungen, die Morbidität und den Zugang zur Gesundheitsversorgung, die Rechtfertigung der Leistungen, die Behandlungskosten und die Messung der erzielten Wirkungen, zu erfassen. Die Indikatoren werden gebildet, indem sechs Grössen (Bevölkerung, Erkrankte, Patientinnen und Patienten, Leistungen, Wirkungen und eingesetzte Mittel) zueinander in Bezug gesetzt werden (s. Abb 1 im zugehörigen PDF-Dokument).
Jede dieser Grössen kann quantitativ (z.B. Anzahl Personen für die Bevölkerung, Franken für die eingesetzten Mittel, Tarifpunkte für die Leistungen) und qualitativ (z.B. Alter und Geschlecht der Personen, Art der Erkrankungen und Leistungen, Art der Wirkungen – Genesung, PatientInnenzufriedenheit, Lebenserwartung, Nebenwirkungen – Qualifikation der Berufspersonen oder Art der eingesetzten Mittel) bewertet werden.
Für die Bildung von Indikatoren werden je zwei Grössen in Form einer Verhältniszahl oder einer Quo-te zueinander in Beziehung gesetzt. Die Morbiditätsindikatoren basieren in der Regel auf der Inzidenz, welche das Auftreten einer Erkrankung in einer Bevölkerungsgruppe ausdrückt, oder auf der Prävalenz, welche den Anteil einer Bevölkerungsgruppe mit einem bestimmten Gesundheitszustand angibt. Für die Messung der Versorgung werden die Leistungen einer Zielgruppe gegenübergestellt, beispielsweise im Rahmen einer Impfkampagne. Ausgedrückt wird der Erfassungsgrad mit dem Verhältnis zwischen der Anzahl Leistungen und der Anzahl Zielpersonen.
Die Finanzierungsindikatoren ihrerseits messen die Menge der eingesetzten Mittel pro Person bzw. nach Finanzierungsquelle.
Die Zugänglichkeit ist eine Messgrösse, um die Wahrscheinlichkeit, dass eine erkrankte Person ambulant oder stationär behandelt wird, zu erfassen. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung kann räumlich (Distanzen) oder zeitlich (Wartezeit) gemessen werden. Die Indikatoren zur Zweckmässigkeit setzen die Leistungen mit den Merkmalen der behandelten Personen in Bezug (Casemix), wogegen die Indikatoren zur Messung der Angemessenheit das Verhältnis der verbrauchten Mittel pro behandelte Person
messen. In der Analyse der Wirkungen widerspiegeln sich die Ziele des Gesundheitssystems: Werden die Erwartungen der Patientinnen und Patienten erfüllt (Wirksamkeit), erzeugen die Leistungen die er-warteten Wirkungen (Effektivität), werden die Mittel so eingesetzt, dass die grösstmögliche Wirkung erzielt wird (Effizienz)?
Die Datengrundlagen sind bereits vorhanden
Die Erstellung der gewählten Indikatoren verursacht keine grossen zusätzlichen Kosten, da alle Indikatoren auf bereits vorhandenen Daten basieren.
Benötigte Daten (s. Abb 2 im zugehörigen PDF-Dokument)
Die Daten über die Versicherten und die Rechnungen für bezogene Leistungen sind bei den Krankenversicherern vorhanden. Die Daten über die Medikamente werden bereits heute von den Apotheken in elektronischer Form an die Versicherer gesandt. Die selbstdispensierenden Ärztinnen und Ärzte liefern die entsprechenden Informationen meist über die von der FMH anerkannten «TrustCenter» auch in elektronischer Form. Mit der vorgeschlagenen Lösung lässt sich daher vermeiden, dass kostspielige neue Datenerhebungen, etwa über die Diagnosen von ambulant behandelten Personen bei den Leistungserbringern eingefordert werden müssen. In den Artikeln 28ff, der Verordnung über die obligatorische Krankenversicherung, ist im Übrigen vorgesehen, dass die Krankenversicherer dem BAG ihre Angaben zu übermitteln haben. Die Umsetzung kann somit auf der Grundlage der geltenden Gesetzgebung er-folgen. Die Medizinische Statistik der Krankenhäuser ist auf die Spitalaufenthalte beschränkt; sie ist für alle Krankenhäuser und Kliniken in der Schweiz obligatorisch und wird seit 1998 vom Bundesamt für Statistik geführt.
Anonymität und Datenschutz
Um die Anonymität der behandelten Personen zu gewährleisten müssen die Daten verschlüsselt und so aufbereitet werden, dass eine Identifizierung der einzelnen Versicherten auch wenn sie mit anderen Daten zusammengeführt würden, unmöglich ist. Das dazu notwendige Vorgehen und die Fragen der Verschlüsselung und des Hashings wurden durch den Dienst für Kryptologie der Schweizer Armee de-tailliert analysiert.
Machbarkeitsstudie
Anhand der Daten aus dem Rechnungsjahr 2002 hat das IEMS bei einer Gruppe von Versicherern mit einer Auswahl von rund 170 000 Versicherten aus drei Kantonen eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Für drei verbreitete Krankheitsbilder – Krebs, Diabetes und psychische Erkrankungen – wurden die im ersten Teil der Forschungsarbeit vorgeschlagenen Indikatoren gebildet. Zur Bestimmung und Zuordnung der Krankheiten können drei Angaben verwendet werden: die Diagnosen aus der Medizinischen Statistik der Krankenhäuser, der Facharzttitel der/des behandelnden Ärztin/Arztes und die Art der verschriebenen medikamentösen Behandlung (z.B. regelmässige Einnahme von Insulin bei Diabetes).
Die Machbarkeitsstudie hat folgende Ergebnisse erbracht:
· Alle vorgesehenen Indikatoren konnten berechnet werden.
· Die medizinischen Daten der Krankenhäuser sind sehr nützlich, da die meisten teuren Versicherten irgendwann einen Spitalaufenthalt verzeichnen.
· Die Krankheiten können häufig anhand der verabreichten Arzneimittel identifiziert werden, ausser bei Krebserkrankungen; eine spätere Einbindung der Krebsregister in das Informationssystem wäre daher nützlich und möglich.
· Mit Hilfe der heute verfügbaren Daten aus der Pflege könnten neue Indikatoren für die Wirksamkeit der Pflege gebildet werden (mittelfristige Überlebensrate, Anteil von Genesungen usw.).
Beispiele für Indikatoren (s. Abb 3 im zugehörigen PDF-Dokument)
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurden die Daten von 170’000 Versicherten aus drei Kan-tonen untersucht. Für die rund 100’000 während der Beobachtungsperiode erkrankten Personen wurden über 700’000 Rechnungen ausgestellt und über eine Million Medikamente verschrieben. Um die vorgeschlagene Vorgehensweise zu illustrieren und den Nachweis zu erbringen, dass es möglich ist die Indikatoren auch mit grossen Datenmengen zu berechnen, wurden die Indikatoren mit diesen Daten berechnet. Die zahlenmässigen Ergebnisse sind allerdings mit Vorsicht zu interpretieren, da die Patientenauswahl nicht mit einer repräsentativen Stichprobe gebildet und das statistische Signifikanzniveau nicht ermittelt wurde. Die Resultate könnten daher verzerrt oder zufallsbedingt sein. Sie sind nur als Il-lustration aufgeführt, um ihren grundsätzlichen Nutzen aufzuzeigen.
Immerhin zeigt die Machbarkeitsstudie bereits deutlich, dass in den Bereichen Versorgung, Medikamentenverschreibung und bei der ärztlichen Versorgung erhebliche regionale Unterschiede bestehen. Deren nähere Untersuchung ist allerdings heute schwierig, denn zurzeit können die ärztlichen Leistungen nur anhand der Durchschnittskosten pro Konsultation ausgewiesen werden. Mit den vorgeschlagenen Indikatoren liessen sich die Merkmale der behandelten Personen und der Schweregrad der Erkrankungen mitberücksichtigen und so die Wirtschaftlichkeit medizinischer Behandlungen anhand der Kosten pro Erkrankung aufschlüsseln. So könnten auch die Behandlungserfolge und nicht nur die Kosten ausgewiesen werden. Damit liessen sich Unterschiede in den Behandlungspraktiken aufzeigen und Erkenntnisse für eine konstruktive Diskussion zwischen praktizierenden Ärzten und den Vertrauensärzten der Krankenkassen gewinnen.
Eine wichtige Verbesserung ergäbe schliesslich die Messung der Pflegewirkungen mit der sich überprüfen liesse, ob die ambulanten Pflegeleistungen kompetent und rechtzeitig erbracht wurden. Erfassbar wäre auch die Inzidenz potenziell vermeidbarer Spitalaufenthalte (z.B. diabetisches Koma, Asthma, gewisse ausgedehnte Infektionen). Untersuchungen über längere Zeiträume würden es zudem erlauben, Verlaufsprognosen einzelner Krankheiten (z.B. Fünfjahresüberlebensraten) zu überprüfen. Die Machbarkeitsstudie enthält schliesslich Anregungen für neue Indikatoren zu den Erkrankungsverläufen (Anteil Patienten, die geheilt wurden, deren Zustand sich gebessert hat oder aber bei denen sich die Krankheit verschlimmert hat).