Gelegentlich wird die These vertreten, "dass eingesparte Reisezeit immer wieder irgendwie in Fortbewegung investiert worden ist". Die These lässt aber darauf schliessen, dass Reisezeiteinsparungen mehr bewirken als die Realisierung von Zeitgewinnen.
Vergleichsweise einfach zu behandeln sind die eigentlichen Reisezeitgewinne, diejenigen des sog. "Stammverkehrs“. Die Wissenschaft hat mit ganz unterschiedlichen Methoden Zeitwerte dafür ermittelt. Im Vordergrund stehen grundsätzlich zwei Ansätze:
- revealed preferences
- stated preferences
Beiden Methoden eigen ist, dass sie die VerkehrsteilnehmerInnen als "black box" behandeln:
- Input ist eine andere Konstellation der Entscheidungsparameter
- Output ist eine Entscheidung über eine bestimmte Verkehrsaktivität
Man erhält damit recht aussagekräftige Werte. Für die Schweiz die besten Werte liefert heute die Studie König, Axhausen, Abay 2004.
Was indessen bei einem Vergleich der Quellen auffällt, sind - nicht überraschend - die erheblichen Unterschiede in den ermittelten Zeitwerten. Offenbar sind, neben den üblichen statistischen Unzulänglichkeiten und zeitlich und räumlich unterschiedlichen Rahmenbedingungen, auch Faktoren wirksam, die "in dieser Blackbox stecken". Von daher erscheint es interessant, diese Blackbox näher auszuleuchten.
Schwieriger ist der Umgang mit dem sog. induzierten Verkehr. Es ist unbestritten, dass Reisezeitverbesserungen Verhaltensänderungen im Verkehrsmarkt auslösen. Der Nutzen von Reisezeitverkürzungen zeigt sich hier nicht mehr nur in kürzeren Reisezeiten, sondern in einer erweiterten Nutzenbetrachtung, die den Nutzen der Aktivität am neuen Ziel miteinschliesst. Es ist so, dass dank der schnelleren Verkehrsangebote ein Nutzengewinn entsteht, obschon der Aufwand für die Reise steigt. Der induzierte Verkehr wird meist entweder mit Verkehrsmodellen oder mit der sog. Elastizitätenmethode abgeschätzt. Aber auch in diesen Fällen handelt es sich um "Blackboxes".
Das bedeutet, dass sich die Monetarisierung von Nutzengewinnen aufgrund schnellerer Verkehrsangebote erheblich kompliziert. Für eine Ermittlung des Nutzenzuwachses muss im Prinzip der Nutzengewinn durch eine neue Zielwahl mit der Veränderung des Transportaufwandes verrechnet werden.
Nicht mehr als induzierten Verkehr kann man Standortverlagerungen bezeichnen, die von schnelleren Verkehrsangeboten mit ausgelöst werden. Es handelt sich um Verschiebungen im Verkehrsmarkt, die zwar von Reisezeitverbesserungen (Erreichbarkeitsverbesserungen) mit ausgelöst sind, aber stark multikausal bedingt sind. Vier Fallbeispiele über den Zusammenhang zwischen Verkehrsinfrastrukturen und der räumlichen Entwicklung (vom ARE unter dem Titel "Lernen aus der Vergangenheit" in Auftrag gegeben) gelangen zu einem sehr undeutlichen Bild. Angesichts der zeitlichen Verzögerungen und der Multikausalität von Standortentscheiden sind Einflüsse der Verkehrsinfrastrukturen nur sehr schwer nachzuweisen.
Dem Nutzen von verkehrspolitischen Massnahmen, u.a. Reisezeitverkürzungen, widmet sich auch die Studie Ecoplan/Widmer 2004 (s.o.). Die Studie ermittelt die Nutzen der Reisezeitverkürzungen des Stammverkehrs mittels Zeitwertansätzen. Zum Nutzengewinn des induzierten Verkehrs finden sich nur wenige Aussagen. Die ausgelösten Standortverlagerungen werden als schwer abschätzbar bezeichnet (im Einklang mit ARE .. s.o.). Viel Gewicht wird dem Optionsnutzen von Reisezeitverkürzungen (Erreichbarkeit) beigemessen (der hier ausgeklammert werden soll).