Basierend auf den empirischen Grundlagen zeigt die Studie folgende zentrale Ergebnisse:
Es gibt kaum Unterschiede zwischen den IV-Stellen was die Auftragsvergabe an externe Gutachter/-innen und deren formale Qualifikation (Facharzttitel) betrifft. Die Berücksichtigung der Qualität der Gutachten bei der Auswahl der Gutachter/-innen ist jedoch unterschiedlich. Wichtigste Herausforderung für die IV-Stellen ist es, qualitativ gute und geeignete Gutachter/-innen zu finden. Medizinische Gutachter/-innen werden selten im Ausland rekrutiert.
Im Jahr 2016 beauftragten die IV-Stellen rund 16'800 Gutachten, meist monodisziplinäre (48%), seltener polydisziplinäre (34%) und bidisziplinäre (18%). Rund 2‘300 Gutachter/-innen erhielten Aufträge von 23 IV-Stellen, wobei Mehrfachnennungen und Lücken möglich sind.
Die befragten IV-Gutachter/-innen sind mehrheitlich männlich, haben langjährige Berufserfahrung, arbeiten Vollzeit und repräsentieren verschiedene Facharzttitel, am häufigsten Psychiatrie/ Psychotherapie. Fortbildungsabschlüsse in Versicherungsmedizin sind verbreitet, insbesondere das Zertifikat der Swiss Insurance Medicine (SIM). Die meisten IV-Gutachter/-innen arbeiten hauptberuflich in einer Praxis, seltener im Spital. Oft werden freischaffend Mandate von polydisziplinären Gutachterstellen übernommen, während eine hauptberufliche Anstellung vergleichsweise selten ist. Die Gutachtertätigkeit ist sehr unterschiedlich intensiv und die IV-Gutachter/-innen haben oft auch andere Auftraggeber (z.B. Unfallversicherer).
Versicherungsmedizin wird in der Schweiz vor allem auf der Stufe Fortbildung vermittelt. Hier gibt es verschiedene strukturierte Angebote und Veranstaltungen mehrerer Anbieter. In der medizinischen Ausbildung ist Versicherungsmedizin kein explizites Thema, in der Weiterbildung vor allem in gewissen Facharztrichtungen. Auf Stufe Weiterbildung besteht generell Bedarf zur Vertiefung des Themas Arbeitsunfähigkeitsbeurteilung.
Die Analyse der Vorgehensweise in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden zeigt einige interessante Unterschiede zur Schweiz. In den Niederlanden werden nur Gutachter/-innen beauftragt, die einen Facharzttitel Versicherungsmedizin erwerben und bei der Rentenversicherungsanstalt UWV angestellt sind. In Frankreich wurden vormals strengere Anforderungskriterien wegen des Mangels an Gutachtern/-innen gelockert. Es wird, wie in Deutschland und der Schweiz, nur der Erwerb eines Facharzttitels verlangt, obwohl es seit 2017 einen Facharzttitel in Versicherungsmedizin gibt. In der Fortbildung sind in Deutschland und den Niederlanden die Träger der Invalidenversicherung sehr aktiv und die Qualitätssicherung hat einen hohen Stellenwert. Es werden umfangreiche Leitlinien bereitgestellt und die Gutachter/-innen von den Versicherungsträgern eng betreut mit einem starken Fokus auf das „learning on the job“.
Ausgehend von den Ergebnissen der Studie wird empfohlen, in der ärztlichen Ausbildung die Sensibilisierung für Versicherungsmedizin zu erhöhen und in der Weiterbildung die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit als Thema voranzutreiben sowie für einzelne Fachrichtungen die praktische Ausbildung von Gutachtenerstellung zu stärken. In der ärztlichen Fortbildung sollten die gutachtenspezifischen Instrumente verbessert werden, medizinisch-juristische Themen gefördert und die Gutachterbetreuung, das „learning on the job“ sowie das Qualitätsmanagement gestärkt werden.