In der gesamten Arbeit werden die drei Teile Paradigmen, Normen und Prozesse gleichwertig behandelt.
Problemanalyse
Zu Beginn der Arbeit wird eine umfassende Problemanalyse mit Literaturrecherche durchgeführt. Dabei soll auch auf die wichtigen historischen Leitbilder des Städtebaus des letzten Jahrhunderts und dessen Auswirkungen auf den öffentlichen Raum eingegangen werden. Wichtig ist zudem, wie sich mit den Leitbildern die Planung verändert hat und das Gesicht unserer Städte und Stadtstrassen beeinflusst wurde. Was waren die Auswirkungen der verschiedenen Paradigmenwechsel respektive des jeweils aktuellen Zeitgeistes? Besonderer Fokus soll dabei auf den Planungsprozess und die jeweiligen Anforderungen sowie auf die vorhandenen Projektierungsfreiräume und die Flexibilität des Strassenraums gelegt werden.
Die Literaturrecherche dient ausserdem dazu, die bestehenden technischen Normen und Richtlinien zu durchleuchten und im Hinblick auf ihre Flexibilität zu prüfen. Es stellt sich die Frage, ob die gegebenen Normen ausreichend Spielraum für die Gestaltung und die Projektierung von Strassen und Plätzen, die sich ändernden Bedürfnisse unterworfen sind, zulassen.
Begriffsdefinition
Aus der Literaturrecherche sind ausserdem die Begrifflichkeiten zu beleuchten. Besonders die Bedeutung des Wortes ‚Flexibilität’ im Hinblick auf Projektierungsfreiräume ist genauer zu hinterfragen.
Im Wesentlichen bedeutet Flexibilität, Wahlmöglichkeiten zu entdecken, auf ständig verändernde Bedingungen reagieren zu können und nicht an ihnen zu scheitern. Also nicht nur einen Blickwinkel zu betrachten, sondern möglichst viele. Flexibilität hat sehr viel mit der Fähigkeit zu tun, flexibel denken und planen zu können.
Im Hinblick auf den Projektierungsfreiraum bei Strassen und Plätzen führt dies zur Erkenntnis, dass nur dann ein flexibler Strassenraum geschaffen werden kann, wenn man schon bei der Planung Entwicklungsszenarien berücksichtigt und sich Gedanken über die sich verändernden Anforderungen macht.
Thesen
Weil zu Beginn eines Projektprozesses im Strassenbau bereits die ersten Weichen für das Gestaltungskonzept der Strasse gestellt werden, ist die Klärung möglicher Entwicklungstendenzen zentral. Wohl werden heute im Variantenstudium grobe Abschätzungen zur Verkehrsentwicklung (MIV) der kommenden 20 Jahre gemacht und diese bei der Ideenfindung berücksichtigt. Übrige nachhaltige Betrachtungsweisen, wie gesellschaftlich, demographische Entwicklungen oder umwelt- oder wirtschaftspolitische Auswirkungen, welche Effekte z.B. auf eine steigende Fussgängerzahl oder grundlegende modal-split-Veränderungen haben können, werden nur wenig oder gar nicht in die Überlegungen miteinbezogen.
Dabei haben die unterschiedlichen Zeitgeiste Einfluss auf die Denkweise der Planenden und somit bei der Anwendung und Interpretation der Normen. Aber auch der Planungsprozess ist aufgrund sich ändernden Paradigmen Anpassungen unterworfen.
Aus der noch nicht abschliessenden Problemanalyse wurden vorläufige Thesen entwickelt:
§ Die Normen selbst (exkl. Normen des Planungsprozesses) sind kein Hinderungsgrund für flexible Strassenräume.
§ Der Zeitgeist hat grossen Einfluss auf die Anwendung der Normen (z.B. Priorisierung für bestimmte Verkehrsmittel- oder –teilnehmer).
§ Szenarienüberlegungen zu möglichen zukünftigen Entwicklungen haben heute nur geringen Einfluss auf den Planungsprozess.
§ Maximal flexible Strassenräume entstehen, wenn im Planungsprozess die Bandbreite möglicher Zukunftsszenarien berücksichtigt wird und die Spielräume der Normen entsprechend ausgeschöpft und geeignete Projektierungselemente verwendet werden.
Der vorliegende Thesenkatalog ist noch nicht abschliessend und wird mit Hilfe der Literaturrecherche noch verfeinert und ergänzt.
Entwicklung des Beurteilungsmodells
Um die Fallbeispiele einheitlich beurteilen und die Thesen überprüfen zu können, wird ein entsprechendes Beurteilungsmodell entwickelt. Es enthält Kriterien zur Berücksichtigung der Umfeldansprüche, zur Flexibilität des Projektes und zu Erfolgsfaktoren des Prozesses.
Fallbeispiele
Eine Liste möglicher Fallbeispiele für flexible und unflexible Strassenraumgestaltungen wird aufgrund der Literaturrecherche erstellt. Dabei geht es vor allem darum herauszufinden, wie flexibel die Planenden während des Prozesses an die Gestaltung von Strassen- und Platzräume herangehen. Spannend ist ausserdem, wie sich die Denkweise der Akteure kennzeichnet und gegen welche Widerstände angekämpft werden muss. Die Festlegung der zu untersuchenden Fallbeispiele erfolgt zusammen mit der Begleitkommission.
Folgende Fallbeispiele zeigen beispielhaft auf, wie die Bearbeitung vorgesehen ist:
Paradigmen – Bahnhofplatz Bern
Während der Planungsphase galt die Randbedingung den MIV auch mit dem Neubau weiterhin über den Bahnhofplatz führen zu können. Während der Bauzeit konnte allerdings der MIV nicht mehr zirkulieren. Das erwartete Verkehrschaos blieb aus und der Wunsch nach einem zukünftigen autofreien Bahnhofplatz in Bern wuchs seitens der Bevölkerung. Es wurde denn auch bereits eine Volksinitiative eingereicht. Diese sich ändernde Wertvorstellungen führen nun dazu, dass der Bahnhofplatz in naher Zukunft allenfalls zu einem autofreien Platz umgewandelt werden müsste. Es stellt sich die Frage, ob die Gestaltung dazu flexibel genug ist.
Normen – Gerzensee/Prêles
In den Gemeinden Gerzensee und Prêles (beide im Kt. Bern) waren Verbesserung bei der Schulwegsicherung erforderlich. Beide Gemeinden hatten somit das gleiche Ziel. Die Lösungsansätze unterschieden sich aber grundsätzlich. Beide Gemeinden waren aufgefordert, für ihren jeweiligen Abschnitt den Querschnitt zu bestimmen. Während sich Gemeinde Prêles für den klassischen Ausbau der Strasse mit Trottoir festlegte, hat sich Gerzensee für den Begegnungsfall Velo/PW bei einer niedrigeren als die signalisierte Geschwindigkeit entschieden. In Gerzensee wurde in der Folge eine einstreifige Strasse mit Ausweichstellen und durchgehendem Trottoir realisiert. Das Ergebnis der Sanierung der beiden Strassen zeigt im direkten Vergleich, dass die differenzierte Anwendung der gleichen Normen und Richtlinien eine Strasse mit zwei unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten hervorbringen kann.
Prozess – Technikumstrasse Winterthur
StudentInnen der zhaw in Winterthur hatten im Zuge einer Projektarbeit die Aufgabe, die Technikumstrasse umzugestalten. Ziel war es, den Strassenraum möglichst flexibel zu gestalten, damit dieser bei sich ändernden Bedürfnissen schnell und ohne grossen Aufwand anpassbar ist. Mit der Szenariotechnik konnten die StudentInnen verschiedene Gestaltungsansätze entwickeln. Aus den unterschiedlichen Ansätzen konnten wiederum die wichtigsten Gemeinsamkeiten herausgearbeitet und in einem Syntheseprojekt zusammengeführt werden.
Die vorliegenden Fallbeispiele stehen beispielhaft für die Art der zu untersuchenden Projekte. Wir gehen davon aus, dass je 3 Fallbeispiele pro Teilbereich untersucht werden können. Die Analyse der Fallbeispiele konzentriert sich auf die berücksichtigten Entwicklungen während des Planungsprozesses, die Anwendung der Normen und das Erkennen von zentralen betrieblichen und baulichen Elementen zur Erhöhung der Flexibilität. Es sollen zudem Erfolgsfaktoren für Prozesse ausgearbeitet werden.
Aus den Erkenntnissen der Problemanalyse, den Auswirkungen der Paradigmenwechsel auf Prozesse und Anwendung der technischen Normen, den erkannten Schwächen im Prozessablauf sowie den Fallbeispielen soll ein optimiertes Prozessmodel erarbeitet werden. Dieses Prozessmodel respektive der optimierte Prozessablauf soll vor allem die Flexibilität zu Beginn des Planungsverfahrens gewährleisten, um somit spätere Anpassungen oder Adaptionen zu erleichtern und den Aufwand so gering wie möglich zu halten.
Ziel ist, die Erkenntnisse anschliessend in die bestehenden Normen integrieren zu können.
Das entwickelte Modell wird durch ergänzende Interviews mit Fachexperten abgestützt. Dabei soll herausgestellt werden, wann welcher Planungsakteur auftritt, welchen Einfluss politische Entscheide haben und wann welche Entscheidungen getroffen werden.
Verifizierung der Thesen
Nachdem die Fallbeispiele mit Hilfe der Beurteilungskriterien im Hinblick auf das jeweilige Projekt und den Prozess beurteilt wurden, können abschliessend die Thesen auf ihre Wahrheit hin überprüft und wenn nötig angepasst werden. Die verifizierten Thesen fliessen in die Empfehlungen zu den Themen Paradigmen, Normen und Prozess in.
Empfehlungen
Zum Schluss soll die Bedeutung des Einflusses der Paradigmenwechsel herausgestellt und verdeutlicht werden, welchen Einfluss der Zeitgeist auf die Planung und Flexibilität der Strassenräume hat.
Aus den Erkenntnissen des optimierten Prozessablaufs, den Erfolgsfaktoren für Prozesse und den ermittelten Anhaltspunkten zur Flexibilität der Normen und Richtlinien sollen zum Schluss Empfehlungen für den Prozessablauf und für die Gestaltung flexibler Strassenräume formuliert werden.
Die Normen werden beleuchtet. Fallweise werden Vorschläge für die Weiterentwicklung erarbeitet. Ziel ist es, einen Prozessablauf aufzeigen zu können, der die bisherige Vorgehensweise während des Planungs- und Projektierungsverfahrens im Hinblick auf die Flexibilität der Strassenräume optimiert.